Wie die erste Maurerin Deutschlands mit Ernst Niekisch in die Fänge der Gestapo kam

Erfahren Sie, ob Margots Geschichte die Gleichstellung vorantrieb, oder ganz anders verlief
Entdecken Sie Margots Geschichte und wie sie unerwartet im Gefängnis der Nationalsozialisten landete.
Die Geschichte der Margot Z. in den zwanziger Jahren in Berlin.
In der Bildergalerie der Süddeutschen Zeitung findet sich heute (Stand 2025) unter der Überschrift „Die moderne Frau in der Weimarer Republik, 1918-1933“ mit der Bildnummer 00822086 und einer falschen Jahresangabe (1932 statt 1926) eine Maurerin in Berlin.1 Es handelt sich um Margot Zachert, eine jungen Frau, die ihr berufliches Glück auf dem Bau suchte.
1 „Süddeutsche Zeitung Photo – Die Bildagentur der Süddeutschen Zeitung“, Dokumentations- und Informationszentrum München GmbH, DOSSIER Die „Moderne Frau“ in der Weimarer Republik, 1918-1933
Margots Weg: Der Versuch, die Gleichstellung zu entdecken.
Die 16-jährige Margot wurde 1926 für kurze Zeit zum Aushängeschild der modernen Frau, weil sie den untypischen Beruf der Maurerin erlernte und sich außerhalb der traditionellen Rollenbilder engagierte. Die Entscheidung, einen traditionell von Männern ausgeübten Beruf zu ergreifen, wurde oft als Akt der Rebellion gegen gesellschaftliche Erwartungen und Normen gewertet.
Der Artikel „Grundsätzlich gleichberechtigt. Die Weimarer Republik in frauenhistorischer Perspektive“ enthält eine Abbildung von Margot als Maurerin. (© Bundesarchiv, Bild 183-R13788)
Spurensuche
Von Fritz Wolff (siehe Kapitel 5) wissen wir, dass er Margot 1926 einstellte. Ihren Namen kennen wir aus der damaligen Boulevardpresse. Aber woher kam sie, was motivierte sie, diesen Beruf zu ergreifen, wie verlief ihr weiterer Lebensweg?
Das Geheimnis einer Person, insbesondere ihrer Herkunft und ihres Lebensweges, zu lüften, ist eine komplexe Aufgabe. Relevante Dokumente wie Geburtsurkunden, Heiratsurkunden, Einwanderungsunterlagen, Volkszählungsdaten, aber auch persönliche Dokumente wie Tagebücher, Briefe, Fotoalben und andere Familienaufzeichnungen waren nicht auffindbar. Recherchen in genealogischen Datenbanken und anderen Quellen wie lokalen Archiven oder Adressbüchern, um die Familiengeschichte von Margot Zachert zu verfolgen und Verbindungen zu anderen Familienmitgliedern herzustellen, brachten keine eindeutigen Ergebnisse. Das Geheimnis eines Menschen zu entschlüsseln, erfordert Geduld, Ausdauer und manchmal auch Glück, denn manche Informationen werden vielleicht nie enthüllt.
Dennoch war die Suche nach der Herkunft und dem Lebensweg der jungen Maurerin Margot eine lohnende Reise, die dazu beiträgt, den wahren Hintergrund der „modernen Frau“ von 1926 besser zu verstehen.
Eine Informationsquelle wurde bisher noch nicht explizit erwähnt: das Buch. In Deutschland erscheinen derzeit rund 70.000 Titel pro Jahr, wobei die Erstauflagen von 81.919 im Jahr 2013 auf 64.278 im Jahr 2022 zurückgegangen sind.
Im Jahr 2018 wurden 788.101 Namen gezählt, die in irgendeiner Form publizistisch in Erscheinung traten, sei es in Form eines Blogs, eines Berichts, einer Übersetzung, eines Artikels oder auf andere Weise. 41.255 Personen publizierten 2018 professionell, aber nur etwa 9.000 können als Vollzeit-Autoren vom Schreiben leben. Daneben gibt es eine große Zahl von Teilzeit- und Gelegenheitsautoren, die die Kriterien für eine Vollzeitbeschäftigung nicht erfüllen, aber dennoch einen wichtigen Beitrag zur Literaturlandschaft leisten.
Angesichts dieser Zahlen ist es erstaunlich, dass ein Schriftsteller, der in Vergessenheit geraten war, in seiner politischen und intellektuellen Wirkung bis heute spürbar geblieben ist. Die Rede ist von Ernst Niekisch, dessen Synthese aus „revolutionärem Sozialismus“ und „preußischem Staatsdenken“ sowie sein unverwechselbarer Schreibstil ihn zu einer interessanten Figur machen. Der Historiker Sebastian Haffner bewunderte Niekischs großartiges Deutsch, das ihn an Kleist erinnerte.
Und weil Niekisch indirekt dazu beigetragen hat, das Rätsel um die Herkunft von Margot Zachert zu lösen, sei er hier erwähnt.
Der Widerstandsverlag
Ernst Niekisch (1889-1967) gründete 1927 den Widerstandsverlag, dessen Schriften dem Kampf gegen die Folgen des Versailler Vertrags gewidmet waren. Er war auch Herausgeber der Zeitschrift „Widerstand“, einer Monatszeitschrift für nationalrevolutionäre Politik. Niekisch setzte dem Nationalsozialismus Hitlers seine Ideen des Nationalbolschewismus entgegen. Beide teilten die Feindschaft gegen die Weimarer Republik, also gegen die Demokratie. In vielen Punkten waren sie jedoch konkurrierende Gegner, wie Haffner prägnant beschreibt:
Während Hitler die faschistische Konterrevolution anstrebte, wollte Niekisch die sozialistische Revolution durchsetzen. Hitler wollte Russland kolonisieren, Niekisch sich mit dem bolschewistischen Russland verbünden. Hitler dachte in Rasse und Raum, Niekisch in Klassen und Staat. Hitler verfolgte eine kapitalistisch-imperialistische Politik, während Niekisch für einen preußisch-asketischen Sozialismus eintrat. Aus all diesen Gründen wurde Niekisch zu einem erbitterten Gegner des Nationalsozialismus.
Im Widerstandsverlag kreuzten sich überraschend die Wege der jungen Frau, die zehn Jahre zuvor als Maurerin bekannt geworden war, und des politischen Schriftstellers Ernst Niekisch. Folgen wir ihren Spuren.
Margot Zachert kam aus Westpreußen
Margot Irmgard Hildegard Zachert wurde am 26. Juni 1910 in Czersk (sprich tsch-) im damaligen Westpreußen (seit 1919 Polen) geboren. Czersk war ein Ort im preußischen Regierungsbezirk Marienwerder, Kreis Konitz, mit etwa 6.000 Einwohnern. Die Entfernung nach Berlin betrug etwa 360 Bahnkilometer. An der damaligen Preußischen Ostbahn Berlin-Königsberg, genauer an der Teilstrecke Schneidemühl-Dirschau (heute Piła Główna-Tczew), befand sich in Czersk ein Bahnhof, an dem mittags je ein Zug Richtung Berlin und Richtung Königsberg hielt. In Czersk gab es eine Wiesenbauschule, eine Dampfmühle, Sägewerke und Ziegeleien. Der Haupterwerbszweig war die Holzverarbeitung, so dass es plausibel ist, dass Margots Vater Otto Zachert (1874-1945) als Tischlermeister gearbeitet hat.
Nach der Geburt der Tochter Margot zog die Familie von Czersk nach Berlin und wohnte in der Kranoldstraße 1 in Neukölln. Der Vater arbeitete zunächst in einer Berliner Möbelfabrik. Er bezeichnete sich als Betriebsleiter, Techniker und Ingenieur und erfand ein zweiflügeliges Schiebefenster, das er sich 1913 patentieren ließ (Patent 10. 314 129).
Ab 1920 betrieb er in Klein-Schönebeck (heute Schöneiche bei Berlin) in der Woltersdorfer Straße eine eigene Bautischlerei. Die Mutter, Emma Zachert, geb. Wiechert (1873-1947), führte den Haushalt am neuen Wohnort Hohes Feld in Klein-Schönebeck. Tochter Margot besuchte bis Herbst 1924 die 2. Mittelschule in Berlin-Neukölln und arbeitete in den folgenden zwei Jahren im elterlichen Haushalt. Ihr Traum war es, Architektin zu werden. Deshalb entschloss sie sich im Herbst 1926, bei Ratsmaurermeister Fritz Wolff in Köpenick in die Lehre zu gehen, um das praktische Bauen zu erlernen.
In dieser Zeit errichtete Fritz Wolff den ersten Erweiterungsbau des Köpenicker Rathauses in der Böttcherstraße.
Die damals 16-jährige Margot wurde für kurze Zeit zum Aushängeschild der modernen Frau, weil sie den untypischen Beruf der Maurerin erlernte und sich außerhalb der traditionellen Rollenbilder engagierte. Die Entscheidung, einen Beruf zu ergreifen, der traditionell von Männern ausgeübt wird, wurde oft als ein Akt der Rebellion gegen gesellschaftliche Erwartungen und Normen angesehen. Doch hat ihr Beispiel andere Frauen wirklich ermutigt, unkonventionelle Berufe zu wählen und sich für Gleichberechtigung einzusetzen? Sie selbst schlug schließlich andere Wege ein.
Nach einem Jahr als Maurergehilfin wechselte Margot Zachert 1927 an die Höhere Technische Lehranstalt für Hoch- und Tiefbau (Baugewerkschule) in Berlin-Neukölln, um sich zur Architektin ausbilden zu lassen.
Da an den Baugewerkschulen parallel auch handwerkliche Ausbildungen angeboten wurden, waren Frauen dort eine Seltenheit. Margot Zachert fühlte sich den Anforderungen auch gesundheitlich nicht gewachsen und brach die Ausbildung nach etwa einem Jahr ab, um in ihr Elternhaus zurückzukehren.
In Privatkursen lernte sie Maschinenschreiben und Stenografie, um doch noch in den damals typischen Frauenberuf der Stenotypistin im Büro zu wechseln.
1935 bewarb sie sich aufgrund einer Anzeige im Berliner Lokalanzeiger beim Widerstandsverlag Berlin am Halleschen Ufer 36, den sie für einen normalen Verlag hielt, was sich später als Irrtum herausstellte.
Der Fall Ernst Niekisch
Am 1. Dezember 1935 wurde Margot Zachert als Stenotypistin im Widerstandsverlag eingestellt. Sie erhielt einen Bruttolohn von 100 RM im Monat. Der Verlag befand sich in der Wohnung des Ehepaars Niekisch und bestand nur aus einem kleinen Zimmer, das auch als Büro diente. Wenn viel zu tun war, half Frau Niekisch mit. Sonst war Margot tagsüber auf sich allein gestellt. Niekisch selbst hatte ein eigenes Arbeitszimmer, in dem er auch Besuche empfing.
Die Zeitschrift „Widerstand“, die er seit 1926 zusammen mit dem Maler A. Paul Weber herausgab, wurde bereits im Dezember 1934 verboten. 1935 wurden Niekischs damals letzte Werke „Die Entscheidung“, „Im Dickicht der Pakte“ und „Die dritte imperiale Figur“ von den Nationalsozialisten verboten und Niekisch aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen. Nur die Schriften „Politik und Idee“ und „Gedanken über deutsche Politik“ waren noch erlaubt.
Die Einnahmen aus dem Verlagsgeschäft waren so gering, dass das Geld kaum zum Leben reichte. Neben den laufenden Kosten für Strom, Heizung und Telefon sowie der finanziellen Unterstützung seines Sohnes blieben ihm monatlich nur 220 bis 230 RM zum Leben. Da Ernst Niekisch 1920 aufgrund eines Disziplinarverfahrens wegen Beteiligung an der Münchner Räterepublik aus dem Staatsdienst als Lehrer entlassen worden war, entfielen auch seine staatlichen Bezüge. Möglicherweise war es die Erbschaft der Mutter seiner Frau Anna in Höhe von 5.000 RM, die ihn trotz dieser Notlage veranlasste, eine Stenotypistin für 100 RM monatlich einzustellen.
Margot Zachert war für die Verwaltung der Buchbestellungen und deren Auslieferung zuständig. Bei den Buchbestellungen hatte sie mit verbotenen Büchern wie Scholochows „Neuland unterm Pflug“ oder Silones „Brot und Wein“ zu tun. Es kam vor, dass Bücher bestellt wurden, die der Leipziger Kommissionär wegen des Verbots als nicht lieferbar zurückweisen musste. Sie führte das Kunden-, Bestell-, Postscheck- und Kassenbuch und erledigte die anfallende Korrespondenz.
Die Korrespondenz wurde sorgfältig abgelegt und darauf geachtet, dass verbotene Schriften nicht mehr verteilt wurden. Ab Weihnachten 1936 wurden nur noch Briefumschläge ohne Firmenaufdruck verwendet. Einige Male hat sie ihre Privatadresse für den Empfang der Post zur Verfügung gestellt, was ihr später fast zum Verhängnis geworden wäre.
Im Verlag lernte sie heute berühmte Persönlichkeiten wie die Schriftsteller Ernst Jünger und Georg Friedrich Jünger, den Publizisten und Widerstandskämpfer Harro Schulze-Boysen, den späteren Gründer der Nürnberger Nachrichten Joseph E. Drexel und den Maler A. Paul Weber kennen. Auf einer Adler-Schreibmaschine übertrug und korrigierte sie Manuskripte. Sie schrieb Bücher ab, z.B. Georg Friedrich Jüngers „Über das Komische“. Inhaltlich hat sie sich mit den Ansichten der genannten Persönlichkeiten wohl ebenso wenig auseinandergesetzt wie mit den Schriften Niekischs.
Im Gefängnis
Am 31. März 1937 wurde der Widerstandsverlag geschlossen und Margot Zachert unter dem Verdacht der Beihilfe zum Hochverrat verhaftet. Noch am selben Tag wurde die elterliche Wohnung in Klein-Schönebeck durchsucht, aber nichts gefunden. Für Anna Niekisch, die Ehefrau des wenige Tage zuvor verhafteten Ernst Niekisch, wurde angeordnet, streng von Margot getrennt zu bleiben. Noch am selben Tag fand das erste Verhör statt. Am 3. April wurde sie von der Gestapo in Schutzhaft genommen und in das Frauengefängnis im Berliner Polizeipräsidium gebracht. Am 8. und 15. April 1937 fanden weitere Vernehmungen statt.
Am 28. August 1937 wurde Margot Zachert vom Untersuchungsgericht des Volksgerichtshofes wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens beschuldigt und ein entsprechender Haftbefehl erlassen:
„Das hochverräterische Unternehmen besteht darin, mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt die Verfassung des Reichs zu ändern, vorbereitet zu haben, wobei die Tat
1. darauf gerichtet war, zur Vorbereitung des Hochverrats einen organisatorischen Zusammenhalt herzustellen oder aufrechtzuerhalten,
2. auch auf Beeinflussung der Massen durch Herstellung und Verbreitung von Schriften gerichtet war.“
An diesem und am folgenden Tag führte das Untersuchungsgericht des Volksgerichtshofes weitere Vernehmungen durch.
Im Oktober 1937 wurde sie in das Nürnberger Untersuchungsgefängnis überstellt, wo sie am 14. und 15. Oktober weiter verhört wurde.
Ziel der Nachforschungen war es, möglichst viele Kontaktpersonen von Ernst Niekisch ausfindig zu machen. Mehr als 100 Personen waren in diese Verfolgung vermeintlich Andersdenkender durch die Gestapo verwickelt. In den Gerichtsakten findet sich eine Liste mit 74 Namen. Verdächtig waren auch Kontakte zur russischen Handelsvertretung in der Lietzenburger Straße. Die Untersuchungsrichter wollten wissen, wer Bücher von Niekisch erhalten hatte, woher das Geld stammte, ob maschinengeschriebene Manuskripte verschickt wurden oder mit wem Gespräche geführt wurden.
Margot Zachert konnte sich nur mit Unwissenheit verteidigen. Sie bestätigte jedoch, die Namen zu kennen, die ihr vorgehalten wurden. Namen, die sie sorgfältig in ihrer Kartei abgelegt hatte. Von den politischen Aktivitäten der Niekischs habe sie nichts gewusst. Sie musste glaubhaft machen, dass sie die Inhalte, die sie abschrieb, nicht verstand. Insbesondere wurde nach einem Manuskript mit dem Titel „Die Politischen Grundlinien“ gefragt, das das Kapitel „1933“ enthielt.
Sowohl Ernst Niekisch als auch seine Frau Anna betonten bei ihren Vernehmungen unabhängig voneinander, dass ihre Stenotypistin nichts Politisches gesehen habe und völlig unschuldig sei.
In seinen Erinnerungen schrieb später Ernst Niekisch:
„Als ich einmal, an einem Tag, an dem der Hofgang mich nicht traf, zum Fenster hinunterblickte, sah ich in einen Hof, in dem Frauen spazierengingen. Ich musterte die Frauen und traute meinen Augen kaum, als ich eine bekannte Gestalt erblickte. Es war meine Privatsekretärin Margot Zachert. Sie war mir immer eine tüchtige Hilfe gewesen, aber ich hatte sie mit Absicht von allen meinen politischen Angelegenheiten ferngehalten. Ich hatte sie auch nur Dinge schreiben und abschreiben lassen, die unbedenklich waren.
Nichtsdestoweniger hatte die Gestapo auch sie in Gewahrsam genommen. Neun Monate hindurch wurde sie ihrer Freiheit beraubt. Interventionen, die von mir ausgingen und parallel von meiner Frau unterstützt wurden, hatten den Erfolg, ihr nach dieser Zeit wieder zur Freiheit zu verhelfen.“
Margot Zachert war 27 Jahre alt und weder physisch noch psychisch besonders robust. Nach sieben Monaten Untersuchungshaft schrieb sie einen Brief an ihre Eltern:
„Nürnberg, den 18.10.1937
Meine liebe Mama, lieber Papa und Karl!
Recht herzlichen Dank für das Paket. Ich habe mich so sehr gefreut über alles. Die Leibnizkekspäckchen habe ich aber leider nicht bekommen. Mein Hinweis, daß man sie doch vorher gar nicht öffnen kann, ohne die Packung zu zerreißen, hat nicht geholfen; Kleingebäck darf nicht ausgehändigt werden. Die Seife habe ich auch nicht bekommen. Es ist also schon besser, wenn Ihr nichts beilegt, so sehr ich mich auch immer darüber gefreut habe. Der Brief ist leider noch nicht zurückgekommen, aber ich denke, daß ich ihn wohl heute oder morgen bekommen werde.
Könnt ihr vielleicht Rechtsanwalt Schumann einen Antrag auf Haftentlassung stellen lassen? Der Antrag wäre zu richten an den Herrn Untersuchungsrichter des Volksgerichtshof, z. Zt. Nürnberg, Geheime Staatspolizeistelle. Man kann den Antrag natürlich auch ohne Rechtsanwalt stellen.
Lange halte ich das bestimmt nicht mehr aus. Ich habe schon seit dem Sommer alle paar Tage Blut im Mund, und abgenommen habe ich schon so viel, daß ich nur noch ein Schatten bin. Ich habe Euch nie davon geschrieben, weil ich Euch nicht unnötig beunruhigen wollte, weil ich immer geglaubt habe, ich werde entlassen. Jetzt bin ich schon sieben Monate in Haft. Da habe ich immer gelernt und gelernt, um weiterzukommen und nun ist alles umsonst gewesen, jetzt ende ich im Gefängnis. So etwas schleppt man doch das ganze Leben hindurch mit sich herum. Und das alles fremder Menschen wegen, die mich nichts angehen.
Hoffentlich geht es Euch gut. Seid recht herzlich gegrüßt
von Eurer Margot“
Der Brief wurde geprüft und einbehalten. Aufgrund ihrer Andeutungen wurde Margot am 25. Oktober in die Untersuchungshaftanstalt Berlin-Moabit überstellt und ärztlich untersucht. Der Amtsarzt stellte fest, dass sie aufgrund der Haft wenig gegessen hatte. Sie war sehr blass und wog bei einer Körpergröße von 162 cm nur 44,8 kg. Margot erzählte dem Arzt, dass bereits ein Bruder an einer Lungenkrankheit gestorben sei. Daraufhin wurde eine Lungenuntersuchung angeordnet. Am 5. November wurde das Ergebnis mitgeteilt, dass die Röntgenuntersuchung keinen akuten Prozess ergeben habe und Frau Zachert somit haftfähig bleibe.
Am 25. Oktober 1937 reichte Margots Vater ein Entlassungantrag ein. Er begründete dies mit der Verantwortung des Chefs, der die Texte diktierte. Außerdem seien sieben Monate Haft für eine Angestelltentätigkeit unangemessen. Außerdem habe sie durch die monatelange Haft erhebliche Einbußen erlitten.
Margot habe Anzahlungen für ein Grundstück geleistet, die bei Zahlungsverzug verfallen würden. Hinzu kämen die Gebühren für die Bauzeichnung und die Baugenehmigung. Da die Unterschriften nicht rechtzeitig geleistet worden seien, sei die Hypothek zurückgezogen worden. Da der Vater im Alter von 64 Jahren als kleiner Handwerker arbeiten müsse, um seinen Lebensunterhalt halbwegs bestreiten zu können, könne er die fälligen Zahlungen nicht mehr leisten.
Der Antrag auf Haftentlassung von Margot Zacherts Vater wurde am 12. November 1937 abgelehnt.
Auch die Weiterleitung des beanstandeten Schreibens vom 18. Oktober an die Eltern wurde nicht erlaubt, da bei den Empfängern des Schreibens „falsche“ Vorstellungen über die Haftbedingungen und den Haftverlauf entstehen könnten.
Am 15. Dezember 1937 fanden weitere Vernehmungen statt, um herauszufinden, ob Margot Zachert politische Manuskripte mit der Schreibmaschine verfasst hatte.
Am 18. Dezember 1937 wurde sie schließlich aus dem Gefängnis entlassen, drei Tage später wurde der Haftbefehl aufgehoben.
Der Prozess
Ernst Niekisch und andere blieben das ganze Jahr 1938 in Untersuchungshaft.
Am 11. Oktober 1938 wurde die Anklageschrift fertiggestellt. Darin wurde ausführlich auf den Inhalt einiger Schriften Niekischs eingegangen. In der Broschüre „Hitler, ein deutsches Verhängnis“ aus dem Jahr 1932 charakterisiert Niekisch den Nationalsozialismus als „abstoßende Ausbrüche zügelloser Rohheit“, „unerträglicher Lärm hohler Worte“ und „politische Kreditschwindelei“.
Im Manuskript „Das Reich der niederen Dämonen“, welches Niekisch 1934/35 verfasst hat, finden sich drastische Beschreibungen von NS-Größen, die in der Klageschrift enthalten sind wie zum Beispiel:
„Die Figur Baldur von Schirachs ist gewiß ein Programm: so denkt sich das Dritte Reich seine Jugend, so ungefährlich und abgegriffen, so lustknabenhaft, gefügig und so byzantinisch geglättet … Himmler, der oberste Polizeigeneral ist ein Mann ohne Ordnungsinstinkte. […] Sein Gesicht ist uneinheitlich: unterhalb der Augenbrauen lauert ein Marder, oberhalb spintisiert ein spiessiger Oberlehrer. Der Marder stürzt sich in den Blutrausch und der Oberlehrer steuert wahnwitzige Ideologien bei. Das Profil mit dem fliehenden Kinn ist unintelligent; es tritt ein sadistischer Schafskopf ans Licht, der nicht weiß, was er mit seiner Mordlust anrichtet…Ley ist nicht der Arbeiter, sondern eine arbeitsscheue Schmutzseele und Rosenberg nicht der Philosoph, sondern ein verrücktes Huhn, das um ein kleines Körnchen ein grosses Gegacker erhob.“
Die Hauptverhandlung fand vom 3. bis 10. Januar 1939 statt. Die Richter waren der Präsident des Volksgerichtshofes Dr. Thierack, Landgerichtsdirektor Dr. Wildberger, SS-Brigadeführer Breithaupt, SA-Gruppenführer Heß und Stadtrat Kaiser. Wer waren diese Personen?
- Otto Georg Thierack (1889-1946) war von 1942 bis 1945 Reichsjustizminister und baute eine nationalsozialistische Rechtspflege auf, die vom geltenden Recht abwich und die formale Gewaltenteilung endgültig aufhob. Er vertrat die Auffassung, dass sich die Justiz den Erfordernissen der politischen Führung unterzuordnen habe und dem Volksgerichtshof, der sich als primär politisches Gericht verstand, eine Vorrangstellung zukomme.
- Ernst Wildberger (1900-1986) war ab 1941 Volksgerichtsrat. Sein Entnazifizierungsverfahren in Hessen wurde 1951 eingestellt, danach war Wildberger als Rechtsanwalt in Fulda tätig.
- Franz Breithaupt (1880-1945) war ehrenamtlicher Vizepräsident des Volksgerichtshofes und enger Mitarbeiter des Reichsführers SS Heinrich Himmler. 1941 wurde er zum Chef des SS-Hauptamtes SS-Gericht ernannt. Ihm unterstanden alle SS-Richter. Oberster Gerichtsherr der SS war Himmler selbst, der Todesurteile gegen Angehörige der SS, der Gestapo und der Polizei zu bestätigen oder Verurteilte zu begnadigen hatte.
- Ludwig Arthur Heß (1891-1959) war ehrenamtlicher Richter und Beisitzer am Volksgerichtshof. Er war auch an Todesurteilen unter Thieracks Nachfolger Roland Freisler beteiligt. Heß war außerdem Reichsinnungsmeister des Schuhmacherhandwerks und beaufsichtigte die „Schuhprüfstrecke“ im KZ Sachsenhausen. Die Häftlinge mussten täglich zehn Stunden in neuen Schuhen eine Strecke von 700 Metern in Form einer Acht marschieren und legten dabei pro Tag etwa 40 Kilometer zurück. Der Einsatz auf der Schuhprüfstrecke war grausame Folter und kam einem Todesurteil gleich.
- Hans-Fritz Kaiser (1897-1949) war ehrenamtliches Mitglied des Volksgerichtshofes und an zahlreichen Todesurteilen beteiligt. Er war seit 1926 Mitglied der NSDAP, Kreisleiter und Stadtrat. Nach dem Krieg galt er als vermisst und wurde 1949 vom Stadtbezirksgericht Köpenick für tot erklärt.
Der Prozesstag am 10. Januar war teilweise öffentlich und ausländische Pressevertreter waren anwesend, auch die sowjetische „Prawda“ berichtete über den Prozess.
Weder in den Vernehmungen noch während des Prozesses gab Niekisch seine Abneigung gegen die nationalsozialistische Bewegung auf. Er wehrte sich gegen den Vorwurf, Mitglied einer Geheimverbindung zu sein. Schließlich hatte er seinen Verlag offen und unmissverständlich als „Widerstandsverlag“ bezeichnet.
Die Behauptung, er wolle mit seiner kleinen Leserschaft als Widerstandsbewegung das Dritte Reich stürzen, empfand er als Beleidigung. Das Urteil lautete „lebenslänglich“.
Am 27. April 1945 wurde er als Kranker von der sowjetischen Armee aus dem Zuchthaus Brandenburg befreit.
Margot Zachert kehrte zu ihren Eltern nach Klein-Schönebeck zurück, um sich um das Grundstück in der Grunowstraße 43 (heute Prager Straße) zu kümmern. Finanziell war das schwierig, denn nach dem Niekisch-Prozess wurde ihr am 12. Januar 1939 mitgeteilt, dass sie keinen Anspruch auf Haftentschädigung habe. Zwar wurde sie aus Mangel an Beweisen freigesprochen, doch konnte der Prozess weder ihre Unschuld noch das Fehlen eines begründeten Verdachts gegen sie beweisen.
1945 starb der Vater, zwei Jahre später die Mutter. Am 27. April 1951 zog Margot Zachert in die Skandinavische Straße 3A in Berlin-Lichtenberg, wo sie bis in die 1960er Jahre im Telefonbuch verzeichnet war. Danach verliert sich ihre Spur.
Die 16-jährige Maurerin und die später 27-jährige Stenotypistin Margot Zachert, die eigentlich Architektin werden wollte, wurde zwar nicht berühmt, aber in der Boulevardpresse und in der politischen Literatur bekannt.
Anmerkung
Quellengrundlage dieser Darstellung sind die Akten der nationalsozialistischen Justiz aus dem Zentralen Parteiarchiv der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Sie sollten der Dokumentation des politischen Widerstandes, insbesondere der Arbeiterbewegung, gegen das nationalsozialistische Regime dienen. Andererseits nutzte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) diese Archive mit Materialien aus der Zeit des Nationalsozialismus, um NS-Täter systematisch zu erpressen und als Informanten und Agenten zu gewinnen.
Die vom Autor eingesehenen Akten stammen ursprünglich vom Volksgerichtshof, vom Oberreichsanwalt beim Volksgerichtshof und vom Reichsjustizministerium. Sie befinden sich heute im Bundesarchiv in Berlin.
Mehr Informationen und Quellenangaben finden Sie Buch „Baukunst und Menschlichkeit: Das Erbe des Köpenicker Ratsbaumeisters Fritz Wolff“.



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9 Monate
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