Der Dichter Siegmar Faust, der in der SED-Diktatur zweimal wegen „staatsfeindlicher Hetze“ inhaftiert wurde, weil er sich nicht den Mund verbieten ließ, ist der Meinung, dass im Gegensatz zu jeder Diktatur, in der viele Menschen allein wegen ihrer Meinungsäußerungen eingesperrt wurden, in einer Demokratie nur der faire Meinungsstreit das Gleichgewicht wahrt.
Gedankenfreiheit ist eines der höchsten Güter in einer Gesellschaft, die offen sein will. Hier hat niemand das Recht zu meinen, die objektiven Geschichtsgesetze zu kennen und damit immer zu wissen, wo es langgeht. Nein, demokratische Politik lebt auch vom Zweifel, sogar vom Recht des Irrtums. Vor allem aber lebt sie von einer fairen Streitkultur. Dafür bedarf es immer einer Opposition, die es in einer Diktatur nicht geben darf.
Siegmar Faust über Lyrik (2010)
Ernst zu nehmende Dichtung ist vor allem Selbstverständigung, gewissermaßen Ausdruckssuche als Identitätssuche; und wo es um diese geht, dürfte es keine Kompromisse geben mit der Sprache der Macht, des Befehlens, der Konsumwerbung oder der Agitation. Gern dürfen sich mir lyrische Sprachgebilde der Mitteilung entziehen, wenn sie musikalische Kraftfelder erzeugen oder magische Formeln, die so rätselhaft sind wie der Sinn des Daseins überhaupt.
Nur die Flucht in Utopien verdirbt mir die Laune, da ich mir keine Ausmalungen einer idealen Welt mehr bieten lassen möchte. Selbst Chiffren schillernder Bedeutung steigern die Wahrnehmungskräfte, auf die es ankommt, wenn ich mich gegen die immer zu bedauernde Realität der Warte und Wärter von Gewesenheit wehre, die als Blockwarte, Gerätewarte, Hauswarte, Jugendwarte, Luftschutzwarte, Platzwarte, Tankwarte, Torwarte, Waffenwarte oder Zuchthauswärter in meine Gegen-Wart zu dringen suchen.
Der 1944 geborene Siegmar Faust wurde in seiner Jugend durch die Lektüre der Schriften von Karl Marx zunächst ein glühender Sozialist. Wie viele seiner Zeitgenossen begeisterte er sich für einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“, der 1968 durch den Prager Frühling propagiert wurde. Deshalb versuchte er, Mitglied der SED zu werden.


Gleichzeitig entwickelte er eine Faszination für Lyrik. Insbesondere die Dichtung des US-Amerikaners Walt Whitman (1819–1892) begeisterte ihn. Er schrieb selbst Gedichte und studierte am Literarischen Institut der DDR, um „Diplom-Schriftsteller“ zu werden. In seiner Freizeit organisierte er private Lyriklesungen, an denen oft 30 Personen teilnahmen. Als er die Gedichte von Karl Marx las, fiel ihm deren stilistische und inhaltliche Dürftigkeit auf.
Keine Meinungsfreiheit in der Diktatur
Seine Begeisterung für Dichtung und die Organisation unabhängiger Lyriklesungen weckten das Misstrauen der kommunistischen Machthaber. Die Stasi griff zu, und Faust geriet in die Mühlen des SED-Staats. Bei seiner Verhaftung wurden unveröffentlichte Manuskripte beschlagnahmt. Er wurde in das Untersuchungsgefängnis in Dresden gebracht, wo er von der Stasi vernommen wurde. Die Stasi-Leute durchsuchten seinen Gedichteschatz akribisch nach „staatsfeindlicher Hetze“.
Autobiografie
Am 25. Juni 2025 stellte der DDR-Dissident Siegmar Faust den ersten Band seiner Autobiographie „Verdoppeltes Leben“ vor, in dem er sein Leben in der DDR bis 1976 behandelt. Der Liedermacher und Psychoanalytiker Karl-Heinz Bomberg, der zusammen mit Faust inhaftiert war, umrahmte die Lesung musikalisch.


